Rollator-Trainerin Cornelia Brodeßer im Interview mit Sanivita

»Der Rollator ist ein Trainingsgerät!«

20.08.2019


Interview mit der Rollator-Trainerin Cornelia Brodeßer

Wie bei jedem Fortbewegungsmittel ist auch die Nutzung eines Rollators zu Beginn mit einer fachgerechten Beratung, alltagstauglichen Übungen und wiederholtem Training verbunden. Um den Einstieg und die Vertiefung der Rollatornutzung zu erleichtern, gibt es Rollator-Training-Kurse wie etwa den Rollator-Führerschein (www.rollator-führerschein.de). Unter anderem bieten die Deutsche Verkehrswacht, Sportvereine und Sanitätshäuser, Kliniken, Physiotherapeuten oder Nahverkehrsunternehmen qualifizierte Rollator-Trainings an. Eine Pionierin dieser Trainings ist Cornelia Brodeßer.

Frau Brodeßer, seit 2011 bieten Sie nun Kurse für Rollator-Anfänger an. Wie kam es dazu?

Ich bin seit über 25 Jahren in der Verkehrssicherheitsarbeit aktiv und vor ca. 15 Jahren habe ich mich auf Mobilitätsthemen speziell für Senioren spezialisiert. Anlässlich meiner Veranstaltungen zu dem Thema „Fußgänger als Teilnehmer im Straßenverkehr“ kam der Umgang mit dem Rollator verstärkt in den Fokus. Einmal sensibilisiert, fielen mir immer öfter spezielle Situationen im realen Straßenverkehr auf. Das führte zu der Idee ein »Rollator-Projekt« zu entwickeln. Eine eigenständige Mobilität ist für viele Menschen letztlich nur mit einem Rollator möglich und meine Vision ist, dass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und ältere Menschen solange wie möglich selbstbestimmt am Leben teilnehmen können. Denn eine häusliche Isolation mangels Mobilität ist sicher nicht erstrebenswert.

Im Rahmen meiner Aktivitäten habe ich für mein Rollator-Training ca. 2 Jahre umfangreiche Recherchen betrieben und auch an sehr unterschiedlichen Rollator-Trainings teilgenommen. Inzwischen hat sich ein festes Rollator-Team von Niederländern, Kanadiern und Kollegen aus Frankreich zusammengefunden. In diesem Netzwerk findet bei Treffen und gemeinsamen Konzeptentwicklungen viel persönlicher Erfahrungsaustausch statt.


Mann sitzt auf Rollator Nexus

Gibt es spezielle Rollator-Trainings für die Nutzung in öffentlichen Verkehrsmitteln?

Von meiner Seite findet eine Schulung in Bereich »Bus und Bahn« erst dann statt, wenn die Grundbausteine der Rollatornutzung von den Teilnehmern geübt und verinnerlicht worden sind. Die Nutzung von Rollatoren in dem Bereich »Bus und Bahn« ist die Königsdisziplin, da die Anforderungen und die Gegebenheiten für die Rollatornutzer sehr speziell sind. Ein Hauruck-Training, also nur ausschließlich ein Training mit bzw. im Bus oder in der Straßenbahn ohne Grundlageninformationen, ist nicht mein Anliegen.

Wie finden neue Anwender heraus, welcher Rollator zu ihnen passt?

Überlegen Sie gemeinsam mit dem künftigen Rollatornutzer, in welchem Umfang, Umfeld und für welche Aktivitäten der Rollator genutzt werden soll. Schuhe kauft man auch nicht auf Verdacht, sondern man probiert, testet und vergleicht die Modelle und Angebote. Besuchen Sie gemeinsam den Fachhandel und lassen sich beraten – nicht überreden – und testen Sie ausgiebig die unterschiedlichen Rollatoren und lassen Sie sich Zeit für die Entscheidung.

Vernunft ist hierbei wichtig, aber hören Sie unbedingt auf Ihren Bauch. Von einem Kauf im Discounter kann ich aus verschiedenen Gründen nur abraten. Wenn Sie Ihren passenden Rollator gefunden haben, lassen Sie ihn individuell einstellen und lassen Sie sich die Details und mögliche Zusatzprodukte erklären, z. B. Korb oder Tasche am Rollator, entscheiden Sie, was Ihnen sympathisch ist.


Cornelia Brodeßer

»Meine Vision ist, dass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und ältere Menschen solange wie möglich selbstbestimmt am Leben teilnehmen können«

Cornelia Brodeßer

Welche Details sollten beachtet werden?

Probieren Sie die Handhabung wiederholt und in Ruhe selbst aus, auch im realen Verkehrsraum. Testen Sie die Handhabung inkl. Nutzung der möglichen Zusatzteile, wie bedienerfreundlich sie sind. Die flinken Hände, die Produktkenntnisse und das möglicherweise bessere Sehvermögen des Verkäufers sollten nicht täuschen, denn im Alltag müssen die Nutzer den Rollator mühelos handhaben können.

Die richtige Bereifung, kann man ihn gut zusammenklappen für eine platzsparende Unterbringung, Sitzfläche, Stock- und Schirmhalter sowie ein montierter Schirm für Sonnen- und Regentage, Klingel, alle diese Dinge sind zu bedenken. Und damit Sie Ihren Rollator auch optimal nutzen heißt es ab sofort »üben, üben, üben«, es ist wichtig, dass Sie den Rollator so oft wie möglich nutzen.

Ist der Rollator gegen Diebstahl versichert?

Sie sollten unbedingt ein Schloss zur Diebstahl-Sicherung anschaffen, Rollator-Klau ist inzwischen keine Seltenheit mehr. Klären Sie mit Ihrer Hausratversicherung ab, auf was Sie achten müssen, damit der Rollator gegen Diebstahl mitversichert ist. Wenn nicht, denken Sie über eine Versicherung nach.

Spiralschloss für Rollator

Kommen wir zu ein paar technischen Fragen: Wie wird der Rollator optimal auf die Körpergröße eingestellt?

Stellen Sie sich aufrecht und mit locker hängenden Armen zwischen die hinteren Räder Ihres Rollators. Wenn sich Ihre Handgelenke auf der gleichen Höhe mit den Handgriffen des Rollators befinden und Sie diese mit leicht angewinkelten Armen umfassen können, ist Ihr Rollator richtig eingestellt. Wenn auf ausdrückliche, therapeutische Empfehlung eine andere Einstellung empfohlen wird, hilft ihnen z. B. Ihr Therapeut.

Was ist beim Gehen und Bremsen zu beachten?

Zum Bremsen während des Gehens ziehen Sie beide Bremshebel wohldosiert nach oben. Hochziehen oder feststellen immer für beide Seiten gleichzeitig. Möchten Sie sich auf den Rollator setzen oder den Rollator abstellen, betätigen Sie die Feststellbremse: Drücken Sie die Bremshebel so weit nach unten, bis sie einrasten. Mit etwas Übung und Gefühl wird die optimale Nutzung der Bremse total selbstverständlich für Sie. Sofern Ihr Rollator eine Ankipphilfe besitzt, um kleine Hindernisse zu überwinden, lassen Sie sich die Nutzung erklären und testen Sie die alltagstaugliche Nutzung.

Wie viel kann mit dem Rollator sicher transportiert werden, z. B. beim Einkaufen?

Meistens können bis zu 5 kg Zuladung transportiert werden. Allerdings ist der Rollator kein Packesel, achten Sie darauf, sich nicht zu viel aufzubürden. Es gibt inzwischen Einkaufs-Rollatoren mit extra-großer Tasche, aber auch bei diesen Modellen muss jedes zusätzliche Kilo bewegt werden. Bei einer zu hohen Beladung ist das Fahrverhalten problematischer und insbesondere die Bewältigung von Bordsteinen nicht ohne Risiko. Einkaufstaschen bitte nicht an die Griffe hängen, dadurch wird der Rollator ungleichmäßig belastet, die Bremszüge möglicherweise beschädigt und der Rollator kann schnell umfallen.

Frau geht mit Rollator Let's Shop spazieren

Was muss für die eigene Sicherheit sonst noch bedacht werden?

Unverzichtbar sind Reflektoren und eine Beleuchtung, die es, falls nicht vorhanden, auch als Zubehör zum Nachrüsten gibt. Wenn Sie gelegentlich einen Gehstock verwenden wollen, dann kann ein Stockhalter sinnvoll sein, damit Sie die Hände freihaben und der Gehstock nicht an der Schlaufe neben dem Bein baumelt. Lassen Sie das Zubehör unbedingt vom Fachhändler montieren. Ein weiterer Tipp ist ein, auf Sie abgestimmter, Rückengurt für eine sichere und entspannte Sitzposition auf dem Rollator.

Pärchen geht mit Rollator Nexus spazieren

Die Bremsen sollten einmal pro Jahr vom Fachhandel geprüft werden – eine gute Gelegenheit, gleich den ganzen Rollator prüfen zu lassen! Sofern Sie ansonsten einen Defekt an Ihrem Rollator feststellen, zögern Sie nicht, lassen Sie ihn vom Fachhändler überprüfen.

Nicht mehr ohne Hilfsmittel gehen zu können bedeutet eine große Veränderung im Leben. Wie gehen Menschen Ihrer Erfahrung nach damit um?

Auch wenn jeder das anders erlebt, so kann doch gesagt werden, dass viele Sorgen und Bedenken im Vorfeld relativ rasch in den erkennbaren Nutzen übergehen.

Es ist fast die Regel, dass Rollatornutzer nach kurzer Zeit die Aussage treffen: Warum habe ich den Rollator nicht eher in meine Mobilität eingebunden! Auch hier kann ein Rollator-Training den Einsteigern und den erfahrenen Rollatornutzern enorm helfen. Der Rollator ist auch ein optimales Trainingsgerät und hilft dabei, lange selbstbestimmt und unabhängig in Bewegung zu bleiben. Sie müssen nur lernen, ihn richtig zu nutzen und zu akzeptieren. Manche geben ihrem Rollator dann sogar einen eigenen Namen, weil er zu einem guten Freund geworden ist.



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